Skibin Evgeniy, Stadtführer, Dolmetscher Prime Excursion Bureau.
Laut Chroniken besitzen die Deutschen in der Geschichte unserer Stadt ein bedeutendes Kapitel. Die ersten deutschen Ansiedler erscheinen im russischen Imperium Ende des XVIII Jahrhunderts auf die Einladung und unter dem Beistand der Kaiserin Katherine II.
Die ersten Deutschen hatten sich im damaligen Kiew im alten Stadtteil Podol (sog. Unterstadt) niedergelassen. Der mehr bekannte darunter war Herr Georg Bunge – Gründer der ersten Apotheke, die noch eine längere Zeit die einzige in der Stadt war (später zur Apotheke-Museum geworden).
Bild 1. Wappen der Dynasti Bunge |
Schon in der zweiten Hälfte des XIX Jh. wurde in Kiew eine mächtige Einwanderung von Deutschen beobachtet. Im öffentlichen Leben der Stadt, an der Universität – die damals als Zentrum des intellektuellen Lebens der Stadt galt – spielten eine bedeutende Rolle die ganzen deutschen Dynastien von Bunge, Rennenkampf, Struve. Die medizinische Fakultät wurde fast völlig von deutschen Professoren geleitet, wie: Bergmann, Brennhaupt, Rinek, Lesch, Mering*, Miram, Tritshel. Auch andere Fakultäten waren durch deutsche Professur vertreten; Professoren: Avenarius, Vogel, Schiller, Eichelmann, Lindemann. |
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*Professor für Medizin Herr Friedrich Mering war nach Kiew aus Sachsen 1845 umgezogen und hatte hier eine glänzende Karriere gemacht sowie sich einen kolossalen Respekt verschaffen. Er war ein ehrwürdiger Mensch und genoss große Achtung nicht nur in Kiew, sondern auch im ganzen Süd-westlichen Land. Der Lebenslauf des Professoren Mering ist interessant und beachtenswert.
Laut damals im russischen Imperium geltenden Gesetzen wurden die ausländischen Diplome und Ränge amtlich nicht anerkannt. Deshalb sollte der Sohn eines örtlichen Arztes aus einer kleinen Siedlung vor Dresden, Student der Akademie für Medizin in Dresden sowie Absolvent der Leipziger Universität (1841-1845) seine Qualifikation in Russland bestätigen.
Nach der Wiederholungsprüfung an der Kiewer St. Vladimir-Universität standen dem jungen Arzt eine fünfjährige Praxis und die Schulung vor. In diesem Zeitraum gelang es sich Mering nicht nur „umqualifiziert“ zu haben, sondern wurde ihm der Professorengrad verliehen, er erhielt den „russischen“ Vornamen Fjodor Fjodorovitsch und knüpfte günstige Bekanntschaften und Verbindungen an.
1845 ist in Stadt Poltava (Zentralteil der Ukraine) der Arzt Friedrich Mering eingetroffen. Ein großer Teil von Ländereien dieser Region gehörte dem Grafen Speransky. Der aus „Sachsen ausgewiesene“ Doktor behandelte hier die Gutsbesitzerfamilien des ganzen Bezirkes.
Sehr schnell die russische Sprache beherrschend, eilte der 23-jährige Sachse eine gewisse Stelle in seinem Fach zu kriegen. Nach dem Verlauf einer Zeit ist er nach Petersburg gefahren, um sich auf die Doktorprüfung vorbereiten zu können. Hier wurde er im Landhospital-Nr: 1 als Prosektor unter der Leitung des medizinischen Prominenz Professoren Pirogov angestellt. Das professionelle Interesse beider berühmten Spezialisten ist in die freundschaftlichen Beziehungen hinübergewachsen, welche Mering und Pirogov das ganze Leben lang pflegten.
Bis zu seinem Umzug nach Kiew, solange er auf den Wettbewerb über die Lehrstuhlgenehmigung an der Kiewer Universität wartete, betrieb er ärztliche Behandlung im Landgut des Adelsmarschalls und Millionärs Grigori Tarnovsky im Tschernigover- Gouvernement. Bald wurde Mering zu einer angesehenen Person im Kreise der wohlhabenden Intelligenz. Im Sommer 1853 leistete er hier den Treueid dem russischen Imperium gegenüber. Kurz darauf hat er die Vertreterin des bekannten Adelsstandes Tomara geheiratet.
Die medizinische Karriere von Friedrich Mering (protégé des Professoren Pirogov) ging wie geschmiert. Er hat erfolgreich seine öffentliche Dissertation bestanden. 1853 ist er nach Kiew im Rang von College- Assessor zurückgekehrt und war als Aspirant der Medizinischen Wissenschaften an der Kiewer Universität tätig; ein Jahr später ist er zum extraordinären Professor erklärt worden.
Im Januar 1856 unternahm Doktor Mering eine Geschäftsreise zum Aufstellungsort der Südlichen Armee, um die Untersuchung der Typhus-Epidemie vor Ort zu vollziehen. Später wurde er für diese Aktion mit dem Orden von St. Anna des III Grades ausgezeichnet.
Als der praktizierende Arzt leitete Friedrich Mering die therapeutische Abteilung im Militärhospital, später war er Berater im Krankenhaus an der Lehranstalt für adelige Jungfrauen und an der Fachschule der Gräfin Levaschova. Fjodor Mering unterrichtete auch an der Universität und wurde von Studenten als Lieblingslektor gegolten.
Parallel zur medizinischen Laufbahn wuchs Doktor Mering rangmäßig auch im Bürgerdienst: nach seiner Behauptung im Adelstand (1860) wurde er des Titels eines Hofberaters mit Rangfolge gewürdigt, 1861 wurde er zum College- Berater und 1864 zum Staatsrat mit Altersfolge. Seit 1871 und 17 Jahre lang war er Sprecher der Kiewer Duma.
Unter seinen Patienten waren in der Tat sämtliche Vertreter von High Society des Gouvernements, Gouverneurfamilien, Universitätskameraden etc. Doch Herr Mering hatte auch die unbemittelten Bürger behandelt. Gerade diesen hatte er seinen makellosen und hohen Ruf sowie allgemeine Ehre zu verdanken. Wie ein echter Arzt begab sich Mering in weit abliegende Örter um einem Kranken benötigte Hilfe leisten zu können. Dabei behandelte er die armen Leute gratis.
Fjodor Mering war durch sein hohes Professorengehalt und jährliches Einkommen von 3500 Rubeln der reichste Arzt im Imperium, der über ein Millionenvermögen verfügte. Er war ein leidenschaftlicher Erwerber von Grundstücken im Zentrum Kiews.
Nach seinem Umzug in Kiew fing Fjodor Mering mit dem Einkaufen von Grundstücken im Stadtzentrum und zwar im aristokratischen Stadtteil Lipki (Linden) an.
Der leidenschaftliche «Grundstücksammler» hatte ein riesiges Gelände in diesem Stadtteil erworben, das sich von der Institutskaja-Str. bis zur Lutherische-Str. und von der Hauptsraße Kreschtschatik bis zur Bankovaja-Str. hinzog. Hier befand sich ursprünglich ein prächtiger Park mit dem Teich, an deren Stelle heute ein schöner Platz mit einem einmaligen Springbrunnen und dem ukrainischen Drama-Theater namens Ivan Franko (ehemaliges Zaren-Theater von Solovzov) zu bewundern sind. Diese Ortschaft ist besonders schön und kennzeichnet sich durch besondere Architektur der umliegenden Bauwerke, die tatsächlich sehenswert sind.
Doktor Mering hatte den Ausbau der Bankovaja-Str. investiert, die durch sein Eigentum verlegt worden war, und ließ dessen großes Territorium mit schönen Bauwerken ausbauen. Die alten Mauern eines davon wurden zur Basis des Gebäudes, in dem heute das Sekretariat des Präsidenten der Ukraine seinen Sitz hat.
Doktor Merings Ableben war eine traurige Seite in der Geschichte unserer Stadt. Um das letzte Geleit der hervorragenden Persönlichkeit und dem Menschen zu geben, sind bis zu hunderttausend Kiewer zusammengekommen (Einwohnerzahl machte damals etwa 165.000 aus!). An dem Tag, als in der Lutherischen Kirche die Messe für den Verstorbenen gelesen wurde sowie am Tag seiner Beerdigung, waren die Hauptstraße Kreschtschatik und alle umliegenden Strassen von Leuten völlig gestaut, viele weinten offenherzig.
Der Kiewer Journalist Jaron schrieb: «Sein Tod war großer Kummer nicht nur für seine Familie und Angehörigen, sondern auch für alle Stadteinwohner. Die Messe für den Verstorbenen war bedeutend: man konnte zum ersten Mal in Kiew eine Messe sehen, an welcher der lutherische Pastor, die orthodoxen Priester und Rabbiner teilgenommen hatten; es war der beste und anschaulichste Beweis der unbegrenzten Liebe von Kiewern dem Fjodor Mering gegenüber».
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Die besten Geschäfte in der Kreschtschatik- Straße hatten die Aushängeschilder mit deutschen Namen: „Würste, Bouillon von Liesel“, „Brötchen von Kirchheim“, „Konditorei von Stiefler", „Musikinstrumente von Neklenburg“, „Werkzeuge von Fallberg“, „Uhren von Leischke“; der Schuhmacher Klug und der Schneider Lüdmer hatten eigene Kundschaft, die Blumenzüchter Benedicks, Vesser, die Brauerei von Richter, Badeanstalt von Mikhelson – dies waren damals Begriffe in Kiew. Die Deutschen fühlten sich wohl und bereicherten sich. Sie waren alle wohlhabenden Geschäftsleute und Hauseigentümer.
Was gibt`s noch zu sagen, wenn die Generalgouverneure die Herren Hasenwinkel und Hesse waren, Vize-Gouverneur - Baumgarten, Polizeimeister – von Gyubbenet?!
Selbstverständlich, hielten sich die Deutschen für die ganz loyalen russischen Staatsangehörigen, doch ließen sich nicht russifizieren. Sie versammelten sich viele Jahrzehnte hindurch in der lutherischen Kirche, um ihre internen Angelegenheiten, Fragen, Probleme etc. erörtern zu können, gewiss, ausschließlich in deutscher Sprache.
Bild 2. Lutherische St. Katherina- Kirche, XIX Jh. |
Am Anfang dieses Artikels wurde der Name von Herrn Georg Bunge – Gründer der ersten Apotheke erwähnt. Solange die deutsche Gemeinde klein war, fanden alle Gottesdienste im Wohnhaus des Apothekers statt. Nachdem sie sich erweiterte, ist in der Spasskaja-Str. in der Unterstadt Podol 1794—1795 eine schlichte Holzkirche zu Ehren der St. Katherina errichtet worden. Diese Kirche war 1811 während einer der schrecklichsten Feuerbrünste vieler Zeiten niedergebrannt. Für den Bau einer neuen Kirche hatte die Stadtverwaltung den Lutheranern einen unbebauten Platz im Stadtteil Lipki (Linden) zur Verfügung gestellt. Am 25. Juni 1812 wurde dort der Grundstein für die nächste Holzkirche der St. Katherina gelegt. Es waren damals schwere Zeiten des Krieges mit Napoleon und das Geldmittel für den Bau dieser Kirche zu sammeln war sehr problematisch. Die Kirchenvorsteher hatten ihre Immobilien zu verpfänden, um auf die dadurch erhaltenen Gelder die neu Kirche weiterzubauen. Nach dem Ablauf einiger Jahre wurden die Schulden getilgt und eine ausgezeichnete Orgel für die Kirche bestellt. Nach der Beschreibung der Zeitgenossen war die fertig gebaute Kirche hell, sauber und im Inneren schlicht eingerichtet, sie hatte keine Verzierung außer Darstellung von Apostel Paulus und dem Porträt von Martin Luther. |
Das heutige Ziegelgebäude der Lutherischen St. Katherina-Kirche ist nach dem Projekt des Architekten, Lutheraners Ivan Strom gebaut worden. Die Kiewer Deutschen dachten schon längst an die Möglichkeit eine fundamentale Kirche bauen zu können. Bei der aktiven Beteiligung der Gattin des Rektors von St. Vladimir-Universität Herrn Rudolf Trautfetter hatte man die entsprechenden Geldmittel für dieses Vorhaben kassiert.
Der Architekt Strom - der zu dieser Zeit schon das Gebäude der Kadettenlehranstalt in Kiew gebaut hatte – verzichtete auf das Honorar und hat in recht kürzer Zeit das entworfene Projekt der Gemeinde vorgelegt.
Den Bau hatte noch ein Deutsche Herr Paul Schleifer geleitet. Von ihm stammt auch der innere Kirchendekor.
Das heutige Gebäude des Gebethauses wurde 1857 eingeweiht. Außer ihrer Eleganz kennzeichnete sich die Kirche durch die außergewöhnliche Akustik. Etwas später hatte der Kaufmann der ersten Gilde Herr Köln für die neue Orgel gespendet, die Gemeinde erwarb noch dazu das Bild „Erlöser – Erscheinen dem Apostel Thomas“.
Auf dem Gelände der Kirche wurde eine lutherische Lehranstalt für die Kinder gegründet, wo alle Fächer in Deutsch unterrichtet wurden. Die Straße, wo dieser Sakralbau liegt, erhielt den Namen Lutheranskaja und ist eine der schönsten in der Stadt.
Friede und Gelassenheit verlassen die Kirchenwände nachdem Kiew die „Bolschewiki- Genossen“ besetzt hatten. Es wurde mit den Verfolgungen der Geistlichen angefangen und 1937 verhaftete man die letzten lutherischen Pastoren. Ein Jahr später wurde die Gemeinde aufgelöst und die Kirche geschlossen.
Bald darauf hatte man drin zuerst einen Klub, dann ein Lager und anschließend 1973 die Direktion des staatlichen Museums für Architektur und Lebensweise untergebracht.
Die Wiedergeburt der lutherischen Gemeinde erfolgte erst Anfang 1990 sobald diese die entsprechenden Gesetze ließen. Im Zeitraum 1998-2000 wurde die volle Rekonstruktion der St. Katherine-Kirche vollzogen.
Es gibt in unserer Stadt eine Reihe anderer Sehenswürdigkeiten, Denkmäler, Gedenkstätten, die über das Leben und Tätigkeiten von Kiewern deutscher Herkunft erzählen.
Erwähnungswert ist auch ein ganzes Städtchen von gotischen Familiengrüften, Grabmalen mit deutschen Inschriften auf dem alten deutschen Friedhof, der sich auf dem Bajikovaja-Berg befindet.